Alice Schwarzer über falsch verstandene Toleranz
Ich bin ein großer Fan von Alice Schwarzer, seit ich vor Jahrzehnten ihre Biographie über die große Mit-Herausgeberin der ZEIT, Marion Gräfin Dönhoff, gelesen habe.
Von Marion Gräfin Dönhoff selbst habe ich ebenfalls viele Bücher gelesen, u.a. ein sehr bewegendes über ihre Flucht vor den Russen aus Ostpreussen im 2. Weltkrieg, bei der sie in 7 Wochen 1200 km auf ihrem Pferd zurücklegte. Oder über ihre Freunde vom Kreisauer Kreis, die teilweise an den Attentaten auf Hitler beteiligt waren und von den Nazis ermordet wurden. Sie wäre dieses Jahr am 2. Dezember 110 Jahre alt geworden.
Aber zurück zu Alice Schwarzer. Für mich ist sie DIE Feministin schlechthin: kompromisslos in der Sache, mit scharfem Verstand und Durchdringung der Themen.
In ihrem Artikel „Im Namen einer falschen Toleranz“ setzt sie sich mit der Verharmlosung vor allem der links orientierten Gesellschaft im Hinblick auf den Islam bzw. Islamismus auseinander. Da treffen die linken, auch feministischen Gedanken, auf oftmals zutiefst frauenverachtende Moralvorstellungen und Ansichten, und tolerieren diese, ja heißen sie sogar willkommen!
Wichtig ist ihr die konsequente Trennung von Islam als Religion und Islamismus als Staats- und Gesellschaftsmodell:
Islamismus beginnt bei einer fundamentalistischen, wissenschaftsfeindlichen Weltsicht, die den im 7. Jahrhundert geschriebenen Koran auch im 21. Jahrhundert noch wörtlich nimmt. Er geht weiter mit der Geschlechter-Apartheid (Trennung schon im Kindergarten) sowie der Entrechtung des Individuums im Namen des Kollektivs. Und er gipfelt schließlich in der Propagierung der Verschleierung, die den Körper von Frauen zum Objekt macht – und die Männer zu deren Wächtern. Für die schriftgläubigen Islamisten bestimmt der Koran das Leben der Menschen ebenso wie die Regeln der Gesellschaft.
Ein sehr lesenswerter Artikel, wie auch die meisten anderen auf ihrer Seite sowie auch bei EMMA, der „alten“ Frauenzeitschrift.
In dem Zusammenhang ebenfalls lesenswert: „Kopftuchkritik an deutscher Uni“ über die Konferenz an der Frankfurter Universität über „Das islamische Kopftuch – Symbol der Würde oder der Unterdrückung?“, die einen Shitstorm in den sozialen Medien gegen die Veranstalterin und dann auch A. Schwarzer auslöste.
Es ist erstaunlich bis erschreckend, wie sich in den letzten Jahren die Perspektiven rechts/links verschoben haben. Ich hab nicht den Eindruck, dass es eine gute Entwicklung ist, wenn verschiedene Themen im öffentlichen Raum inzwischen gemieden werden aus Angst, die „falsche Meinung“ zu haben.
Vermeidung von Themen – ja, das finde ich auch!
Es gibt aber auch eine Kehrseite: wenn man die Kommentare unter manchen Artikeln durchliest, nimmt „das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ echt schlimme Züge an. Das scheinen manche für den Freibrief zu halten, um frauenverachtend und fremdenfeindlich bis rassistisch rumzupöbeln auf unterstem Niveau bis hin zur Androhung von Gewalttaten. Erschreckend.
Ich bin aber auch der Meinung, dass dieses „Gutmenschtum“, das jahrzehntelang kritiklos Parallelgesellschaften gefördert hat, mit dazu beigetragen hat. Wenn Leute den Eindruck bekommen, dass ihre Ängste (ob berechtigt oder nicht ist dabei egal) nicht wahrgenommen werden und nichts gegen die negativen Begleiterscheinungen der Migration unternommen wird, sind sie frustriert und fühlen sich allein gelassen. Es wird ihnen immer nur gesagt: so dürft ihr nicht denken.
Woher allerdings diese Frauenverachtung bei manchen kommt, ist mir wirklich ein Rätsel (ich beziehe mich hier nicht auf das Menschenbild in anderen Gesellschaften, sondern im Westen). Ein Auslöser ist wahrscheinlich ebenfalls Angst – vor Statusverlust, vor Machtverlust. Aber auch Orientierungslosigkeit: was wird heute vom Mann erwartet, was zeichnet ihn aus. Im Grunde genommen sind das arme Würstchen, aber das macht es für die angegriffenen Frauen nicht besser.